Ehrenamt Bundestrainer

Deutschland ist also Fußballweltmeister 2014. Gott sei Dank. Das Gejammer hat ein Ende. Die Fußballexperten der Republik haben natürlich schon lange die Gründe herausgefunden und analysiert, warum es unausweichlich war, geradezu absolut zwingend, dass es dieses Mal die deutsche Nationalelf treffen musste.

Joachim Löw und seine Co-Trainer haben das Team optimal vorbereitet und motiviert. Löw hat die Mannschaftstaktik dem jeweiligen Gegner individuell anpassen können.

Die medizinische Abteilung hat dafür gesorgt, dass die, die den Adler tragen, aufs Beste gehätschelt und gepampert werden.

Der Zeugwart hat Trikots, Hosen, Schienbeinschützer, Strümpfe, Schuhe, Lätzchen und Haarfestiger so vorbereitet, dass Manu, Poldi, Schweini und Konsorten ohne nennenswerte Reibungsverluste in die Klamotten springen können.

All dies sind, ohne Frage, bemerkenswerte Leistungen. Aber auch hier wäre der Erfolg zumindest zweifelhaft gewesen ohne das Ehrenamt. Denn ohne das ehrenamtliche Engagement der Millionen (Bundes)Trainer daheim auf den Sofas der BuRepuDeu geht auch im Fußball nichts mehr. Jene Männer und Frauen, die mittels der totalen Kameraführung den allgemeinen Überblick an ihren Flachbildschirmen haben, den ein Fußballlehrer eben konsequenterweise nicht haben kann, weil er ja nur am Spielfeldrand steht, oder wie ein Tiger in Gefangenschaft, in seiner Coachingzone auf und ab läuft.

Bei der Siegesfeier in Berlin war aber weit und breit keiner dieser, für Herrn Löw unverzichtbaren Helfer, auf der Bühne zugegen. Das finde ich persönlich einigermaßen ungerecht, hätte ich doch stellvertretend für alle gerne einen Ehrenamttrainer nach Berlin geschickt: Axel!

Axel habe ich kennengelernt auf dem Sofa meines Wohnzimmers. Dort saß er, als ich pünktlich zur deutschen Nationalhymne nach unten kam und auf eben jenem Sofa Platz nehmen wollte. Das war aber schon komplett besetzt von meinem Freund Stephan, einem meiner Söhne, meiner Frau und eben Axel. Auf dem zweiten Sofa hatten es sich mein anderer Sohn und Sven, ein Freund von Stephan, bequem gemacht. Sven hat sich erfreulich unauffällig verhalten, was es ihm erspart, im weiteren Verlauf dieser Geschichte erwähnt zu werden.

Woher Axel kam habe ich bis heute nicht wirklich begriffen, außer dass Stephan ihn im Schlepptau hatte. Aber ob er ihn an einer Autobahnraststätte gefunden hat oder ob Axel ihm zugelaufen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Da aber Stephan ihn mitgebracht hat, zog ich weder Axels Existenzberechtigung in Zweifel, noch die Richtigkeit seines Aufenthalts auf meinem Sofa für die Dauer der Fernsehübertragung.

Die Nationalhymne wird also abgespielt, die Kamera schwenkt über die Gesichter der zukünftigen Champions, und offenbart nicht nur bemerkenswerte Größenunterschiede, z.B. Lahm zu Neuer, oder, wer vor Anspannung ein Kaugummi malträtieren muss, sondern auch, wer von unseren Rasentretern im Text fest ist und mitsingt oder eben auch nicht. Erste Spekulationen und Bewertungen greifen Raum: „Wer die Hymne nicht mitsingt, hat in der Nationalmannschaft nichts zu suchen. Es ist eine Ehre für Deutschland spielen zu dürfen.“ So sprach Axel und brachte sich das erste Mal auf durchaus nicht angenehme Weise in den Fokus meiner Wahrnehmung. Meiner Meinung nach sollte es den Spielern gesetzlich verboten sein, die Hymne mitzusingen, denn was da zuweilen an unfreiwilligen Hörproben in die internationalen Wohnzimmer gelangt, könnte man gut und gern als psychologische Kriegsführung einstufen und es sollte zumindest daraufhin geprüft werden, ob es sich bei dem Gesang um Körperverletzung handelt. Aber da es von der Nationalhymne keine Stadion taugliche extended Version gibt, war dieser Programmpunkt zügig abgearbeitet (jawohl: Singen ist Arbeit!) und Axel verfiel vorübergehend in eine Art Ruhemodus.

Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an; für Axel das Signal von Standby auf Alarmstufe gelb zu wechseln. Er richtete sich auf, zog die Füße dicht an das Sofa heran und folgte mit den Augen unablässig dem Ball auf dem Bildschirm.

Da es nicht eben selten vorkommt, dass in größeren Gruppen solche sportlichen Highlights im Wohnzimmer heidnisch-sakral begangen werden, sind mir die möglichen Reaktionen der mit fiebernden Freunde und Familienmitglieder natürlich nicht fremd: Ironische Kommentare, lautes Freuen bei einem Tor, den Spieler fluchend als Blindniete bezeichnen, wenn er selbiges verfehlt oder stilles Leiden beim Elfmeterschießen. Axel jedoch zelebrierte Fußball auf höchstem, auf allerhöchstem Niveau. Dabei zeigte er ein unerreichtes Talent im Bereich Multitasking:

Axel kommentierte das Spiel in der Souveränität eines Marcel Reif im Vollrausch.

Axel übernahm es, den Spielern taktische Anweisungen zuzubrüllen.

Axel regte sich darüber auf, wenn sie seine taktischen Anweisungen nicht umsetzten.

Axel versuchte Herrn Löw, seine Ideen zum Spiel auf telepathischem Weg zu übermitteln. Dies jedoch in einer Lautstärke, die einen startenden Kampfjet zu einem lautlosen Elektroauto mutieren ließ.

Nun kenne ich es bereits von meinem Sohn Jasper, dass man sich sehr deutlich und drastisch zu einem Fußballspiel äußern kann. Aber Jasper bleibt dabei wenigstens sitzen. Nicht jedoch Axel. Axel springt vom Sofa auf, gestikuliert wie Jürgen Klopp, pöbelt wie Rudi Völler und macht alle Anstalten aus dem Wohnzimmer, durch den Bildschirm, auf das Spielfeld zu springen, um zu retten, was nicht gerettet muss oder kann. Kurz: Axel arbeitet Fußball schauen.

Das Spiel ist zu Ende. Die Sieger auf dem Feld liegen sich jubelnd in den Armen, die Verlierer sinken erschöpft auf das arg malträtierte Grün. Axel ringt nach Luft. Er hat alles gegeben für den Sieg. Deutschland besiegt Brasilien im Halbfinale mit 7:1.

Danke, Axel…