Wen einladen?

Wer schon einmal Gastgeber gewesen ist, kennt das Problem: Wen lade ich ein? So einfach die Frage gestellt ist, so schwer ist sie zu beantworten. Denn eigentlich ist diese Frage ein gesellschaftspolitisches Überraschungsei, also drei Fragen in einer. Korrekterweise muss es natürlich heißen:

Wen möchte ich einladen?

Wen muss ich einladen?

Wen will ich auf gar keinen Fall einladen?

Bringt uns das der Antwort auf obige Frage aber näher? Nein! Denn wir müssen uns auch fragen: Wozu lade ich überhaupt ein? Und da betreten wir ein weites Feld an möglichen Events (um mal sprachlich im Mainstream zu bleiben). Ein einfaches Beispiel: Eine Gruppe Männer, die sich seit dreißig Jahren kennt, möchte zusammen grillen. Der Neandertaler des 21. Jahrhunderts ist organisiert in einer WhatsApp-Gruppe, das Gruppenbild ein, noch leicht vor sich hin blutendes Nackensteak mittig auf einem Weber-Kugelgrill, mit einem Grillrostdurchmesser von der Größe einer LKW-Felge, drapiert. Drei bis vier Männerhände, die Bügelpilsflaschen ins Bild halten. Die Regeln sind seit Jahren gleich: Grill, Grillkohle, zwei Zentner Nackensteaks und Bier. Über den Gruppenchat wird lediglich Datum und Uhrzeit kommuniziert.

Dagegen ungleich komplizierter zu erstellen sind die Gästelisten für Veranstaltungen, die mit einem gewissen Prestigepotenzial belastet sind: Hochzeiten (grüne, silberne und goldene), Scheidungen (grüne, silberne und goldene), Taufen, Kommunionen, Firmungen, Konfirmationen sowie andere heidnisch-sakrale oder politische Initiationsriten, runde Geburtstage und, last but not least, Tupperparties. Von den Geburtstagen abgesehen, handelt es sich bei dieser Aufzählung um Festivitäten, zu denen man im Idealfall nur einmal einlädt (Wer glaubt, zu Tupperparties kann man doch häufiger einladen, hat mich noch nicht zu einer solchen plastilinen Verkaufsveranstaltung als Teilnehmer und potenziellen Kunden gebeten. Kleine und große  Naschkatzen, diverse Grazien sowie zahllose Eidgenossen erbeben in namenloser Furcht, wenn sie den Klang meiner Stimme vernehmen).

Jeder dieser besonderen Anlässe erfordert seine ganz eigene, der Bedeutungsschwere des Ereignisses angepasste Gästeliste. Ein einfaches Untereinanderschreiben von Namen, die einem gerade einfallen, verbietet sich von selbst. Zuerst muss der Gastgeber sich bewusst machen, notfalls unter Zuhilfenahme entsprechenden Stimulanzien, was für Menschen sie oder er eigentlich kennt. Die besten Freunde, na klar. Das ist einfach. Die hat man zusammen, noch bevor der Rotwein geatmet hat. Beste Freunde sind absolut unverzichtbar, kann man sie doch problemlos in die Vorbereitungen mit einbeziehen. Wehren dürfen sie sich nicht, darum sind es ja die besten Freunde. Dann die Familie. Hier wird es das erste Mal etwas diffus. Die ersten Gläser Rotwein werden ihrer Bestimmung zugeführt. Da ist zum einen der sogenannte engste Familienkreis (Sie wissen schon: Der in dem vorzugsweise Beerdigungen stattfinden. Zu denen man übrigens nicht einlädt, sondern über die man lediglich informiert. Bei Polterabenden verhält es sich ganz genauso. Beerdigungen und Polterabende auf diese Art gleichzusetzen, sagt einiges über den Zustand unserer Gesellschaft aus). Also Eltern, Geschwister sowie im Ausland studierende Kinder. Dafür braucht man auch noch keinen Wein, wohl aber beim Festlegen des weitergefassten Familienkreises. Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen, nebst tatsächlichen Partnern, temporären Lebensabschnittsgefährten und vorübergehenden Gespielinnen oder Toy-Boys. Je nach Hormonspiegel oder Geisteszustand.

Eine weitere Liste nimmt die sonstigen Freunde und guten Bekannten auf. Hier wird dann abgewogen: Beim wem war ich zu einer vergleichbaren Feier eingeladen? Habe ich die Einladung angenommen? Hatte ich meinen Spaß, oder wenn schon nicht Amüsement: Habe ich die Investition meines Geschenks herausgegessen oder –getrunken? Wem möchte ich durch den Akt des Nichteinladens gerne mitteilen, dass sie oder er mich doch fortan bitte mit Nichtachtung strafen möge?

Ein anderes Problem, das weder durch Rotwein, Joints oder Ignorieren anständig zu lösen ist, ist folgendes: Ich lade ein, und weiß, dass da jemand bei ist, den ich im Normalfall garantiert nicht auf der Liste hätte. Der oder die aber durch Einheirat dazu gehört. Da bleibt als Trost eigentlich nur, dass dieses Dilemma meistens auf Gegenseitigkeit beruht. Irgendwas ist eben immer.

Dann eine Hitliste mit Kollegen und Vorgesetzten. Mit Partnern oder ohne? Zelebriere ich den Quatsch zuhause, in einem Restaurant oder miete ich einen Saal? Möchte ich es ertragen, dass, bis dahin gerne gesehene Wegbegleiter, etwas vorführen?

Es gilt also einen bunten Strauß von Faktoren ins Kalkül zu ziehen, die Einfluss nehmen auf die zu erstellenden und auszusprechenden Einladungen. Eine vorrausschauende und rechtzeitige Planung ist meines Erachtens unerlässlich.

In nicht einmal zwei Jahren werde ich fünfzig. Ich sollte schon mal den Rotwein atmen lassen…