Wer die Amsel stört

Unlängst brachte die Bremer Tagespresse, der WESER KURIER, unter der Rubrik “Natur, Wissenschaft und Technik” einen Bericht über eine Studie zum Verhalten von Amseln; genauer gesagt zum Verhalten von Stadt- und Waldamseln. Warum, fragte ich mich, wird hier speziell zwischen Amseln des Waldes und solchen, die sich in Städten aufhalten, unterschieden? Weil, so belehrte mich der Artikel, als hätte er gewusst, dass ich als erstes diese Frage stellen würde, das Verhalten von Waldamseln sich massiv von dem der Stadtamseln unterscheidet.

Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden sich jetzt vermutlich fragen, warum liest der Mann solche Studien? Weil ich für Sudokus zu blöd bin? Richtig. Weil ich stricken und häkeln langweilig finde? Auch das. Aber eigentlich, weil diese Studien in dem Teil der Zeitung zu stehen pflegen, den von meiner Familie beim Frühstück keiner haben will (warum das so ist, lesen Sie bitte in der Geschichte “Morgenroutine”). So habe ich es mir also zur Angewohnheit gemacht, diese Studien zu lesen, und mich dann zu fragen, warum diese oder jene wissenschaftliche Erhebung das Interesse der Allgemeinheit verdient hat. Früher habe ich mich auch gefragt, wer bezahlt sowas und was hätte man mit dem Geld erreichen können, hätte man es in soziale Projekte gesteckt. Aber das ist, als würde man über verschüttete Milch klagen. Absolut sinnlos und frustrierend.

Doch zurück zu den Amseln. Nachdem ich den Artikel durchgearbeitet hatte, drängte sich die oben bereits gestellte Frage auf: Warum, bzw. wer will das wissen? Und auf einmal war es mir ganz klar: Weil wir es hier mit  einer Fabel zu tun haben! Eine Fabel im Gewand einer wissenschaftlichen Studie. Die Amsel hat man deshalb als Studienobjekt gewählt, weil sie der Vogel ist, der in den Städten am häufigsten vorkommt. Und genau wie beim Menschen, so ist auch die Amselpopulation pro Quadratkilometer in der Stadt deutlich höher, als die Amselpopulation im Wald. Ausgenommen vielleicht beim sonntäglichen Verdauungsspaziergang zwischen Mittagessen und Kaffeetafel. Also, beim Menschen.

Sowohl die Wald-, als auch die Stadtamseln wurden vor die gleichen Schwierigkeiten gestellt, bzw. den gleichen Irritationen ausgesetzt. Dazu wurden frisch geschlüpfte Amseln sofort aus den Nestern entfernt und von Hand aufgezogen. Als die Tiere dann groß genug waren, um ohne Hilfe zu fressen, hat man die Futternäpfe immer wieder optischen Veränderungen unterworfen. Dabei hat es sich gezeigt, dass die Stadtamseln deutlich länger gebraucht haben, um an die manipulierten Futternäpfe zu kommen, als die Waldamseln. Warum ist das so? Nun, meine lieben Freunde, hier machen sich ganz eindeutig die zivilisatorischen Einflüsse der Stadt auf ihre Bewohner bemerkbar. Das Leben in der Stadt ist um einiges schneller als auf dem Land, und somit ist die arme Stadtamsel immer wieder aufs Neue gefordert sich auf unbekannte Situationen einzustellen. Da bleibt es nicht aus, dass so eine Amsel schon mal den Überblick verliert. Das Leben der Waldamsel hingegen verläuft in ruhigen, von der Natur geordneten Bahnen, im Einklang mit der wahren Natur des Vogels. Das Tier ist also deutlich robuster und geerdeter, als ihre verstädterten Artgenossen. Die Waldamsel bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Aber stimmt das wirklich? Ist es nicht vielmehr so, dass die naturbelassene Amsel gar keine andere Möglichkeit hat, als den Veränderungen in ihrem Leben mit Gelassenheit gegenüberzutreten?

Die Studie hat gezeigt, dass der Tag einer Stadtamsel im Schnitt um 39 Minuten länger ist, als der der Waldamsel. Wenn wir jetzt annehmen, dass der Tagesablauf einer Amsel auf dem Land sich nicht wesentlich vom dem einer Amsel in der Stadt unterscheidet, weil er in den Genen und Ablaufprotokollen hinterlegt ist (aufstehen, waschen, kochen, putzen, bügeln, Kindererziehung), kommt man  an der Frage gar nicht vorbei, wofür die Stadtamsel die zusätzlichen 39 Minuten benötigt…

Sie ist im Internet unterwegs! Sie googelt und recherchiert, wer ihr schon wieder am Fressnapf herumgepfuscht hat, und um was es sich dabei wohl potenziell Gefährliches handelt. Die Gelassenheit der Waldamsel in Bezug auf Veränderungen in ihrem direkten Umfeld ist also nicht auf ihre Natur zurückzuführen, denn Vögel sind schließlich Fluchttiere und somit alles andere als in sich ruhend, sondern auf den noch immer nicht abgeschlossenen Ausbau schneller Internetverbindungen in Feld und Flur, in Wald und Wiese. Die Waldamsel ist gelassen, weil sie gar keine andere Möglichkeit hat!

Und was wird aus der gebeutelten Stadtamsel? Bedeutet die Tatsache, dass das Tier grundsätzlich weniger Schlaf bekommt als ihre Verwandte im Wald, dass sie früher stirbt? Darüber schweigt die Studie sich aus. Aber ich bin sicher, dass wird erforscht sobald die Studienobjekte sich dem Ende ihrer genetischen Lebenserwartung nähern.

Ich halte Sie auf dem Laufenden.