Winter-Minestrone

„Ich habe vorgekocht,“ verkündete Petra, „das sollte für zwei Tage reichen, wenn ihr euch etwas zusammenreißt.“ „Super, was denn?“ „Winter-Minestrone, den Außentemperaturen entsprechend.“

Winter-Minestrone? Ich ahnte Verdruss und begehrte darum weitere Informationen: „Ich weiß, dass Minestrone eine italienische Gemüsesuppe ist. Aber, was, um Himmels Willen, ist eine Winter-Minestrone?“ „Eine Gemüsesuppe, mit Gemüse, das gut im Winter zu bekommen ist: Tomaten, Staudensellerie, weiße Bohnen. So etwas eben. Ach ja, und Reis auch. Also eher ein Eintopf. Ist ein neues Rezept. Vegetarisch.“

Nun muss man wissen, dass Petra ab und zu unter mentalen Krämpfen leidet, welche sie dazu zwingen, unsere Ernährung in Relation zu den Kosten zu setzen, die wir für ebendiese Ernährung aufwänden. Das Ergebnis stellt sich in 90 Prozent der Fälle wie folgt dar: Sie besorgt neue Rezepte, die um die Aufmerksamkeit der Köche buhlen, indem sie von sich behaupten, dass sie a) in der Zubereitung total schnell und unkompliziert seien, b) die Gewürze sowieso in jedem Haushalt vorhanden seien, c) die Zutaten der Jahreszeit entsprächen und darum supergünstig wären und d) letztendlich auch noch oberlecker schmeckten. Nach der Zubereitung sollten die zu erwartenden Gaumenfreuden dann in praktisch angewandtem Sozialismus verzehrt werden: Petra kocht und macht sich, Arbeit vortäuschend, aus dem Staub. Jasper, Jonathan und ich müssen das Ergebnis dann im wahrsten Sinne des Wortes auslöffeln.

Ich erinnere mich leider noch sehr genau an die erste Ausfallerscheinung meiner liebwerten Gattin, damals noch Freundin. Es war am Anfang unserer Beziehung, als ein gemeinsamer Haushalt noch lange kein Thema und darum Kostenersparnis auch nicht der Auslöser eines, mich möglicherweise negativ prägenden, kulinarischen Super-GAUs war: APRIKOSEN-LASAGNE.

Das einzige was noch an eine tatsächliche Lasagne erinnerte waren die  Nudelplatten. Was sich jedoch zwischen diesen Platten in der Auflaufform tummelte, war der vermutlich abgefeimteste, Verstoß gegen die Menschenrechte auf deutschem Boden, seit Ende des zweiten Weltkrieges: Halbe Aprikosen aus der Dose ersetzten das Hackfleisch und ein Gemisch aus Naturquark, Naturjoghurt und gemahlenen Haselnüssen tarnte sich als Sauce Bèchamel. Das Ganze dann mit Käse überbacken wie eine echte Lasagne.

Ich habe es versucht, wirklich. Nein, im Ernst! Ich habe alles gegeben, aber es ging nicht: Ich konnte es nicht essen. Unsere Beziehung hat nur sehr kurzzeitig darunter gelitten. Wir haben trotzdem geheiratet.

Mir fiel also die Aufgabe zu, meinen Söhnen so schonend wie möglich beizubringen, dass Petra uns mit einem neuen Rezept beglückt hatte. Aber wie überbringt man eine Nachricht, von der man nicht genau weiß, ob es eine gute Nachricht ist oder vielleicht eine nicht ganz so gute?

„Mama hat gekocht… für zwei Tage… was Neues… ohne Fleisch.“

Sogar in meinen Ohren klang es eher wie: „Papa muss in den Krieg, aber macht euch keine Sorgen. Es passiert schon nichts. Hoffe ich…“ Wussten Sie eigentlich, welch vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten das pubertierende Gesicht hat?

So saßen wir also zu dritt am Tisch, jeder einen Suppenteller vor sich, gefüllt mit Winter-Minestrone. Es roch sooo schlecht nicht. Nachdem wir also die ersten Löffel hinter uns gebracht hatten, entspann sich folgendes Gespräch:

Jasper: „Schmeckt nicht schlecht.“

Jonathan: „Aber auch nicht gut.“

Ich: „Schmeckt nach Schweiz. Sehr neutral. Ich hole mal Maggi.“

Jonathan: „Für mich Pfeffer und Salz, bitte.“

Jasper: „Also, wenn man zufällig auf eine Tomate beißt, geht es eigentlich.“

Jonathan: „Was sind das für weiße Dinger?“

Ich: „Bohnen.“

Jonathan: „Die mag ich nicht. Die sind eklig im Mund.“

Ich: „Ja, ich weiß. Die mochte ich schon als Kind nicht. Aber die sind billig.“

Jasper: „Ich wusste gar nicht, dass die Tomate an sich ein Wintergemüse ist.“

Ich: „Nur die holländischen aus dem Treibhaus.“

Jonathan: „Vielleicht mit Curry…?“

Ich: „Hmmm… Jetzt schmeckt es immerhin nach Maggi.“

Jonathan: „Ist das auch wieder von diesem Tim Mälzer?“

Ich: „Auf jeden Fall ist es aus diesem Heft, in dem auch Tim Mälzer seine Rezepte parkt.“

Jasper: „Ich nehme noch was. Mir schmeckt‘s.“

Ich: „Du bist ein guter Sohn.

Jonathan: „Und ich?“

Ich: „Du hast die Aufgabe, unter zu Hilfenahme deines pädagogischen Ansatzes, Mama schonend beizubringen,  dass sie sich die Arbeit sparen kann, diesen Eintopf nochmal zu machen. Dann bist auch du ein guter Sohn.“

Jonathan: „Aufgrund meines pädagogischen Ansatzes? Vielleicht auch einfach nur, weil du Angst hast vor Mama?“

Ich: „OK. Das wäre dann also auch geklärt. Jasper ist der gute und du bist der böse Sohn. Dann müssen wir dich wohl doch in ein Kloster geben.“

Jasper: „Was ist mit mir?“

Jonathan: „Nichts, du mieser Schleimer. Ist das jetzt echt die dritte Portion?“

Jasper: „Was denn? Ich habe und  Hunger und es schmeckt.“

Jonathan: „Man beachte die Reihenfolge.“

Ich: „Vielleicht sollte ich mal wieder Grünkernbratlinge selber machen.

Mit Karotten und süßem Senf…“

Jasper und Jonathan: VIELLEICHT AUCH NICHT!“

Ich: „Geht mir aus den Augen. Habt ihr nichts für die Schule zu tun?“

Jasper: „Ich gehe gleich zum Baskettball-Training.“

Jonathan: „Ich fahre zur Tanzschule.“

Jasper: „Pussi!“

An dieser Stelle sah ich mich gezwungen, das Gespräch, einer Eskalation vorbeugend, zu unterbrechen. Der, unsere bisherige Unterhaltung bestimmende, Gegner war zur Hälfte vernichtet und ich betrachtete es als meine Plicht als treusorgender Familienvater, dafür zu sorgen, dass der vorhandene Rest tatsächlich für den nächsten Tag reichen würde. Und im Übrigen: Auch Petra musste davon heute Abend noch etwas essen. Denn, wie der Volksmund zu behaupten nicht müde wird: Geteiltes Leid, ist halbes Leid. Ich glaubte ihm und war sehr geneigt in Bezug auf das, zu Topfe stehende, Rezept streng kommunistisch zu denken. Wir hatten zu dritt also rund 50 Prozent des Schnellkochtopfes geleert und es war mehr als angemessen, dass Petra, als Köchin den ihr zustehenden Teil bekam. In Zahlen also ca. 2,5 Liter. Die würden für eine Person locker zwei Tage reichen.

Sie reichten für drei Tage. Ziel erreicht, Plansoll übererfüllt, Auftrag ausgeführt.

Hier noch ein kleiner Verbesserungsvorschlag: Winter-Minestrone schmeckt am Besten, wenn man statt dessen Pizza serviert.